REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Kurzinformation Religion: Scientology
Gründung
18.2.1954 in Los Angeles.
Gründer: Lafayette Ron Hubbard (13.3.1911 – 24.1.1986)
Geschichte
1950: Veröffentlichung von Dianetics. The Modern Science of Mental Health.
1954: Erste Scientology-Kirche in Los Angeles.
1959: Einführung des E‑Meter.
1966: Rücktritt Hubbards aus leitenden Funktionen.
Erste OT-Stufen (insgesamt bis OT VIII).
1969: Gründung der Citizens Commission on Human Rights.
1981: Gründung der Church of Scientology International als Dachorganisation der Scientology-Kirchen.
1982: Bildung des Religious Technology Centers als Führungsorganisation aller Scientology-Einrichtungen.
1986: Tod von L. Ron Hubbard.
1991: Neues Gradsystem (“Brücke zur völligen Freiheit”).
1993: Anerkennung als Religionsgemeinschaft in den USA.
Scientology in Deutschland
1970: Erste Scientology-Kirche Deutschland in München. In den 80er Jahren folgen Kirchen in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt a. M.
1989: Gründung der ersten Gruppen in der DDR und der Kirchen in Hannover und Stuttgart.
Dem Verfassungsschutzbericht 2022 zufolge gibt es in Deutschland neun Kirchen (darunter zwei sogenannte Celebrity Centres) und mehrere Missionen/Dianetik-Zentren.
Lehre
Mit Hilfe von Dianetik (dia nous, durch den Verstand) und Scientology (Lehre vom Wissen) soll es dem Menschen ermöglicht werden, den “Befehl: Überlebe!” in acht sog. Dynamiken (Daseinsbereichen) optimal umzusetzen und zu seiner eigentlichen Existenz als geistigem Wesen (Thetan) zu finden. Hierzu nutzt ein Thetan Körper (body) und Verstand (mind) eines Menschen.
Der reaktive Teil des Verstandes verhindert jedoch eine optimale Überlebensstrategie, weil geistige Eindrucksbilder (Engramme) früherer leidvoller Erlebnisse nur Abwehrhaltungen hervorrufen. Im Prozeß des Auditing sollen diese Engramme gelöscht werden, wodurch der Mensch vom Status des Preclear zum Clear übergeht und dadurch fähig ist, sein Leben erfolgreicher und glücklicher zu gestalten. Auch seine physischen Funktionen sind verbessert. Im weiteren Verlauf wird der Clear zum Operierenden Thetan (OT) und soll dadurch in die Lage versetzt werden, das ihn umgebende Universum, bestehend aus Materie, Energie, Raum und Zeit (engl.: MEST), zu beherrschen. Der gesamte Prozeß wird als “Brücke zur völligen Freiheit” beschrieben.
Mittels fest definierter Zustände unterschiedlichster Lebenssituationen erfolgt eine Neuwahrnehmung von Wirklichkeit. In dieses Konzept gehört auch, dass die Welt klar in Freunde und Gegner von Scientology unterschieden wird. Gegner oder Kritiker in den eigenen Reihen gelten als “potentielle Schwierigkeitsquellen” oder “unterdrückerische Persönlichkeiten”, die den Erfolg von Scientology verhindern. Ziel ist demgegenüber “eine Zivilisation ohne Geisteskrankheit, ohne Verbrecher und ohne Krieg, in der fähige Wesen erfolgreich sein und ehrliche Leute Rechte haben können, und in der der Mensch die Freiheit hat, zu größeren Höhen aufzusteigen.“
Hubbard hat die in Dianetik beschriebenen grundlegenden Mechanismen und Prinzipien im Lauf der Jahre auf nahezu alle Bereiche des Lebens ausgeweitet: Erziehung, Bildung, Sozialarbeit, Wirtschaft und Verwaltung. Kernelemente bilden hierarchische Strukturen und Kontrolle mittels genau festgelegte “Zustände” sowie eine pragmatische, auf Erfolg ausgerichtete Lebenshaltung (“das Gute ist, in größerem Maße erfolgreich als erfolglos zu sein”). Dabei kann jedes Problem mittels der von Hubbard ausgearbeiteten “Technologie” bewältigt werden.
Hubbard selbst gilt den Anhängern nicht als Religionsstifter, sondern als Forscher und Philosoph. Auch darin fällt Scientology aus dem üblichen Raster neuer Religionen heraus.
Europäische / deutsche Besonderheiten
In Europa wird der Religionsstatus von Scientology vielfach bestritten, da wirtschaftliche und politische statt religiöse Interessen im Vordergrund stünden. In Deutschland findet seit 1997 eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz statt, weil Anhaltspunkte für Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gesehen wurden. Der Verfassungsschutz konnte dies jedoch nur anhand der Schriften nachweisen, ohne dass konkrete Handlungen festgestellt wurden. In Bayern müssen Bewerber für den öffentlichen Dienst erklären, dass sie keine Scientolog*innen sind. In einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 1995 wird Scientology ebenfalls der Religionsstatus abgesprochen. Verfahren in anderen Bereichen (Vereinsrecht, Steuerrecht) kamen z. T. zum gleichen Ergebnis. Auch hier manifestiert sich eine kritische Haltung, die in Scientology vornehmlich ein Wirtschaftsunternehmen sieht, das zudem seine Mitglieder ausbeutet. Aus diesen Gründen sieht sich Scientology als Opfer staatlicher Diskriminierung.
Wichtige Elemente der Praxis
Die Anwendung der “Technologie” Hubbards besteht zum einen im sog. Auditing (von audire, zuhören) und zum anderen im genauen Befolgen vorab beschriebener Zustände und sich daraus ergebender Aufgaben.
Den Weg vom Preclear zum OT kann der einzelne sowohl durch das alleinige, kostenintensive Absolvieren der aufeinander aufbauenden Kurse als auch durch die begleitende Ausbildung zum Auditor durchlaufen. Aufbauend auf einem Persönlichkeitstest werden im Auditing vom Auditor bestimmte, vorformulierte Fragen gestellt. Mit Hilfe des sog. E‑Meters (Elektropsychometer), werden dabei die Engramme aufgespürt und durch ihre schrittweise Bewusstwerdung schließlich gelöscht. Im Verlauf des Prozesses kommen so auch Engramme aus früheren Existenzen des Menschen als Thetan zum Vorschein. Das Auditing wird von Kommunikationstrainings, Maßnahmen zur Entgiftung des Körpers (z. B. der sog. Reinigungsrundows, bestehend aus der Einnahme von Vitaminpräparaten in Verbindung mit intensiver Sauna) und vielem mehr unterstützt. Der gesamte Verlauf wird in Protokollen festgehalten und kontrolliert. Dabei kommt den Auditoren und ihrer Ausbildung eine besondere Rolle zu; nur er kann den erfolgreichen Abschluß einer Stufe auf der “Brücke” feststellen. Nach dem Selbstverständnis sind Auditoren “seit der ersten Session von Scientology die einzigen Individuen auf diesem Planeten und in diesem Universum gewesen, die in der Lage waren, die Menschheit zu befreien.“
Kommunikationstrainings und andere Kurse werden auch in Bereichen angewendet, die nicht zum Kernbereich von Scientology gehören (z. B. Drogenarbeit, Managementschulungen). Der Einstieg wird auch hier in der Regel durch den Persönlichkeitstest hergestellt.
Scientology-Mitarbeiter*innen stellen ihre gesamte Existenz in den Dienst der Organisation, was eine erhebliche Reduktion von Außenkontakten, die nicht der Werbung für Scientology dienen, zur Folge hat.
Wichtige Feiertage:
- 13. März (Geburtstag von Hubbard),
- 9. Mai (Veröffentlichung von Dianetik),
- 2. September (Auditoren-Tag),
- 7. Oktober (Gründung der International Association of Scientologists).
Diese Veranstaltungen haben äußerlich eher Event-Charakter. Beim “Sunday Service” hingegen erläutert ein “Kaplan” zentrale Punkte der Lehre. Die Sonntagspredigten werden nicht regelmäßig in allen Zentren durchgeführt. Insgesamt gesehen nehmen kultische Handlungen (Hochzeiten, Namensgebung u. a.) nur einen geringen Stellenwert im Gesamtsystem ein.
Verbreitung
Weltweit: Ca. 7 Mio. Mitglieder. Nach eigenen Angaben hatte Scientology 1990 10.224 vertraglich verpflichtete Mitarbeiter, davon über 50 % in USA.
Deutschland: Etwa 3.600 Mitglieder laut Verfassungsschutzbericht 2022.
Verbreitung: Insgesamt 75 Länder, v. a. USA und Europa.
Die Hälfte der Mitglieder verläßt Scientology innerhalb von 10 Jahren.
Organisation
Das Religious Technology Center (RTC, seit 1982, Sitz: Los Angeles) ist das höchste Führungsgremium und Inhaberin aller Rechte von Scientology und vergibt diese an andere Scientology-Organisationen im Lizenz-Verfahren.
Alle Basiseinrichtungen haben Dachorganisationen, z. B. die als “Mutterkirche” bezeichnete Church of Scientology International (CSI, Los Angeles).
Am unteren Ende der hierarchischen Struktur stehen die sog. Missionen, in denen einführende Kurse angeboten werden. In den sog. Kirchen kann der Status des Clear erreicht werden. Darüber hinaus gehende Kurse zum OT wie auch in der Ausbildung werden in ausgewählten Einrichtungen in Kopenhagen, East Grinstead, Los Angeles und Sydney durchgeführt. Die Celebrity-Centers hingegen wenden sich besonders an Künstler und andere bekannte Pesönlichkeiten.
Daneben bestehen quer zu dieser Hierarchie organisierte Einrichtungen. So besteht die Sea-Org aus ca. 5.000 hochrangigen Scientolog*innen, die sich zur lebenslangen Mitarbeit verpflichtet haben. Die auf dem Schiff Freewinds residierende Sea-Org wird von Scientology als “religiöser Orden” bezeichnet, deren Mitglieder auch in anderen Scientology-Organisationen tätig sind. Auf der Freewinds wird auch die oberste OT-Stufe absolviert. Die International Association of Scientologists (IAS) setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die hohe Beiträge spenden. Über die IAS werden einzelne PR-Aktionen finanziert. Das Office of Special Affairs (OSA, sog. Geheimdienst) ist ebenfalls für PR-Aktionen zuständig, aber auch für die Informationsbeschaffung im Rahmen von Öffentlichkeitskampagnen.
Wichtige Vorfeldorganisationen
- World Institute of Scientology Enterpreises (WISE) – Dachorganisation für Unternehmen, die Scientology-Technologie anwenden (in Deutschland ca. 100 bis 150). Die Unternehmen entstammen v. a. dem Mittelstand und Kleingewerbe. Wichtige Zweige sind Immobilienfirmen, Neue Medien, Managementschulungen.
- Association for Better Living and Education (ABLE) – Dachverband für die Koordination von Aktivitäten im sozialen Bereich wie Drogenarbeit (»Narconon«) oder Ausbildung, in denen Scientology-Methoden angewendet werden.
- Citizens Commission on Human Rights (CCHR, deutsch: Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte, KVPM). Die CCHR wendet sich v. a. gegen die sog. traditionelle Psychologie, die sich durch “Unfähigkeit, Lügen und unmenschliche Brutalität” auszeichnen soll und deshalb zu bekämpfen sei.
Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere Vorfeldorganisationen, die z. B. Berufsgruppen-Lobbyarbeit für Scientology durchführen.
Schriften
Basisinformationen in: Was ist Scientology?, hg. von der Church of Scientology International, 1993.
Zeitschrift Freedom (in Deutschland: Freiheit). Darüber hinaus Einzelpublikationen zu Themen wie Psychologie, Kriminalität, Religionsfreiheit.
Zahlreiche Bücher, Kurse, Videos, Vortragsmanuskripte, etc. von L. Ron Hubbard über Dianetik und Scientology.
Kontaktadressen
Church of Scientology International
6331 Hollywood Boulevard, Suite 1200
Los Angeles, California 90028
www.scientology.org
Church of Scientology Europe
Fabriksparken 15
2600 Glostrup
Dänemark
Scientology-Kirche Deutschland e.V.
Beichstraße 12
80802 München
Tel. 089 / 38 60 70
Literatur
Über die zahlreiche Kritiker-Literatur hinaus gibt es kaum ausgewogene Darstellungen zu Scientology. Empfehlenswert:
Werner Thiede: Scientology – Religion oder Geistesmagie?, Neukirchen-Vluyn, 1. Aufl. 1992.
Gerald Willms: “Scientology”. Kulturbeobachtungen jenseits der Devianz. Bielefeld. 2005.
Máté-Tóth and Gabor Dániel Nagy: Scientologists in Germany: A Sociological Study. Szeged: University of Szeged. 2016.
James R. Lewis and Kjersti Hellesøy: Handbook of Scientology. Leiden: Brill. 2017.
Autor*innen: Ulrike Bieker, Steffen Rink © REMID 2001.
Ergänzung Literaturhinweis: Kris Wagenseil (2013)
Ergänzungen Scientology in Deutschland/Verbreitung/Kontaktadressen/Literatur: Natalie Meinert (2023)
Kurzinformation Religion „Scientology“ als PDF-Datei