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Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Kurzinformation Religion: Wicca
Begriff
“Wicca” dient als Sammelbegriff für Gruppen, die sich einer bestimmten neuheidnischen, von vorchristlichen europäischen, aber auch von außereuropäischen Religionsinhalten geprägten ritualorientierten Mysterienreligion zurechnen. Im Deutschen wird der Begriff oft synonym zu “Hexe” verwendet.
Geschichte
Die ersten feststellbaren Wicca-Gruppen bildeten sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts in Großbritannien, und zwar nach der Abschaffung des “Witchcraft Acts” von 1735, mit dem bis 1951 Hexerei unter Strafe verboten war. Parallel dazu veröffentlichte der englische Beamte Gerald Brosseau Gardner (1884–1964) High Magic’s Aid (1949), Witchcraft Today (1954) und The Meaning of Witchcraft (1959) — Bücher, welche die Grundlage für den englischen Wicca-Kult bildeten und teils literarische Vorlage für die Rituale späterer sog. Covens wurden. Gardner, welcher sich selbst wiederum auf Charles Lealand bezog (Aradia, Gospel of the Witches, 1899), dessen Werk über Hexen lange Zeit die einzige Quelle für einen existieren Hexenglauben darstellte, hatte angegeben, bereits seit 1936 Mitglied des New-Forest-Covens zu sein. Wichtig für Gardners Wirken war auch der Einfluss von Margarete Alice Murray (The Witch-Cult in Western Europe, 1921 bzw. The God of the Witches, 1931). Eine eventuelle Verbindung zwischen Gardner und Aleister Crowley und dessen Ordo Templi Orientis (O.T.O.) ist ungewiss. Ob sich Gardner selbst zum “König der Hexen” ernannte, um dadurch eine Führungsposition für die gesamte Bewegung einzunehmen, ist ebenso wenig bekannt.
Zunächst verbreitete sich die Wicca-Bewegung im englischsprachigen Raum. Raymond und Rosemary Buckland, zwei von Gardners Schülern, brachten die Ideen des britischen Wicca in die USA, wo recht schnell auch neue Traditionen entstanden. Mehrere Hexenzirkel wurden ab 1960 von der Hexe Sybil Leek gegründet. 1972 rief Hohepriesterin Mary Oenida Toups den “Religious Order of Witchcraft” ins Leben. Ebenso kam es in den USA zur Herausbildung einer Wicca-Kirche (Church and School of Wicca), die offiziell als Religion anerkannt ist. Nachdem seit den 1970er Jahren das Neuheidentum in Deutschland vermehrt Anhänger fand, bildeten sich bald auch die ersten, den internationalen Wicca-Gruppen nahe stehenden Gemeinschaften. Jedoch lässt sich erst ab den 1980er Jahren von einer Wicca-Bewegung in Deutschland sprechen.
Die Covens
Gruppen von Wicca-Anhänger*innen organisieren sich meist in sog. Coven (wörtlich: Versammlung), die maximal 13 Mitglieder zählen und in der Regel gemischtgeschlechtlich sind (Ausnahme: feministische Coven). Für die Mitgliedschaft in einem Coven bedarf es der Initiation in die Tradition des oder der Wicca und des jeweiligen Coven. Normalerweise gibt es dabei drei Einweihungsstufen: Im ersten Grad erfährt der oder Initiandin eine allgemeine Einweihung in den Wicca-Kult und wird dann (nach gardnerischer und alexandrischer Tradition) als “Hexe*r” oder “Priester*in” bezeichnet. Nach der Initiation in den zweiten Grad darf die Person nun als “Hohepriester” bzw. “Hohepriesterin” Rituale leiten und Wicca-Anhänger*innen des ersten Grades unterweisen. In einigen Richtungen des Wicca werden nur Paare in den dritten Grad initiiert. Diese sind dann befugt, einen Coven zu leiten und selbst neue Mitglieder zu initiieren. “Hexenkönigin” ist eine mindestens drei Coven leitende Hohepriesterin des dritten Grades. Allerdings variieren diese Gegebenheiten je nach Tradition und auch je nach einzelnem Coven. Die sog. Reclaiming-Richtung z. B. kennt kein Gradsystem.
Wichtige Elemente der religiösen Praxis
Die Wicca-Bewegung ist durch eine große Vielfalt geprägt und besitzt kaum einen allgemein anerkannten Konsens. Zentral jedoch ist zumeist die Verehrung der “Großen Göttin” in ihren drei verschiedenen Gestalten — Jungfrau, Mutter, alte Weise -, der als Partner der Gehörnte (jedoch nicht mit dem Teufel gleichzusetzende), Fruchtbarkeit bringende Gott zugeordnet ist. Zu ihr gehören je nach Gestalt verschiedene Namen, Elemente, Symbole, Farben und Eigenschaften. Im Ritual werden Göttin und Gott durch Priesterin und Priester vertreten. Die Natur selbst wird, wie auch bei allen anderen neuheidnischen Gruppen, als Ausdruck göttlicher Kräfte (bzw. als das Göttliche selbst) interpretiert, mit denen man sich im Ritual verbindet, um diese u. a. für magische Handlungen zu nutzen. Meist orientieren sich die Mitglieder eines Covens an einem jeweils variierenden “Book of Shadows”, das den für den Coven gültigen Glaubenspantheon sowie die entsprechenden Ritualvorgaben enthält. In unterschiedlichen Akzentuierungen finden sich in der religiösen Praxis auch Elemente aus Schamanismus, Tarot sowie aus verschiedenen Meditationsrichtungen, beeinflusst auch dadurch, welche Erfahrungen die Mitglieder in den Coven mitbringen und als integrationswürdig befinden.
Für Zusammenkünfte werden gern Kultstätten in der Natur aufgesucht (wie z. B. die Externsteine bei Paderborn). Im Jahreslauf werden acht Feste gefeiert: Vier Sonnenfeste — die Tag- und Nachtgleichen und die Sonnenwenden — und vier weitere Feste keltischen Ursprungs: Imbolc (2. Februar), Beltane (1. Mai), Lammas (1. August) und Samhain (1. November). Darüber hinaus bedeutsam sind Vollmond-Feiern (Esbats), welche zumeist Coven-intern begangen werden und für magische Arbeiten reserviert sind.
Richtungen
Mit der Zeit hat sich eine Vielzahl verschiedener Traditionen des Wicca herausgebildet, die sich jeweils durch Herkunft, bestimmte Akzente in ihrer Glaubensrichtung und Praxis unterscheiden. Einige wichtige davon sind:
Gardnerian Wiccas
Die Rituale werden nach der Überlieferung Gerald Gardners ausgestaltet und ebenso wird die Initiationen korrekt weitergegeben.
Alexandrian Wiccas
Diese Tradition entstand nach Alex und Maxine Sanders. Alex Sanders soll nach dem Tod Gardners von Hohepriester*innen zum “König der Hexen” gewählt worden sein. Einige Covens und Einzelpersonen sind in beide, eng mit einander verbundenen Richtungen initiiert (Algard Wiccas).
Hereditary Wiccas
“Familienhexen” bzw. “Erbhexen” betrachten ihre religiösen Vorstellungen als Familienerbe. Dies führt zu einer abgeschlosseneren Existenz innerhalb der Wicca-Bewegung.
Dianic Wiccas
Bei dieser Richtung, die sehr viele Untergruppen kennt, wird die Göttin stark hervorgehoben, manche Gruppen klammern den männlichen Part in ihrer Praxis sogar gänzlich aus.
Der Übergang zu feministischen, teils auch politisch und ökologisch engagierten Wicca-Gruppen, die oft in engem Zusammenhang mit der US-amerikanischen Publizistin Zsuzsanna Budapest und deren Schülerin Starhawk (bürgerlich: Miriam Simos) stehen, ist fließend (Reclaiming Wiccas).
Besonderheiten in Deutschland
Unter den organisierten Wicca-Gruppen in Deutschland gibt es neben den genannten britischen Traditionen auch Merlian Wiccas, die in einer sich auf den sagenhaften Zauberer Merlin beziehenden Tradition stehen, sowie auch eine Richtung, die sich wahrscheinlich auf den ägyptischen Isiskult bezieht (The Fellowship of Isis). Sehr verbreitet in Deutschland ist die der Dianischen Tradition verwandte sog. Feen-Richtung bzw. die Reclaiming-Richtung nach Starhawk.
Im deutschsprachigen Raum wird seit der Christianisierung bis heute mitunter die Hexenreligion dem Satanismus zugesellt, was nicht der Wicca-Perspektive entspricht, auch wenn sich mitunter ähnliche Symbole wiederfinden, z.B. das Pentagramm. Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich in steigendem Maße die Neuen Medien bezüglich der Vernetzung, Werbung und Ausbildung von Wiccas wie auch weiterer Hexen- und Neuheidenanhänger*innen.
Organisationen in Europa
Manche Wicca-Gruppen organisieren sich in Netzwerken mit anderen neuheidnischen Richtungen, etwa keltischer, germanischer oder schamanischer Prägung. Während ein Großteil dieser Neuheiden*innen insgesamt entweder links-ökologisch ausgerichtet oder unpolitisch und lediglich religiös interessiert ist, gibt es auch pagane Gruppen, die — sich betont auf völkisch-germanische Traditionen berufend — der neofaschistischen Szene angehören. Zu letzteren zählt beispielsweise der Armanenorden.
Eine jährliche europaweite Zusammenkunft von ausschließlich Wiccas ist der Pan European Wiccan Congress (PEWC). Eine Dachorganisation für Wicca in Deutschland konnte bisher nicht etabliert werden. Als übergreifende Netzwerke können jedoch die Pagan Federation Deutschland — Österreich — Schweiz (PF D.A.CH.), der Rabenclan e. V. (als Interessenvertretung für naturreligiöse Menschen, zu denen auch Wiccas zählen) und Steinkreis — pagan network e. V. genannt werden.
Verbreitung
Genauso wie es bisher keine exakte religionswissenschaftliche Erfassung dessen gibt, was sich unter dem Begriff “Wicca” firmiert, gibt es auch keine zuverlässigen Zahlen bezüglich der Wicca-Mitglieder. Dies liegt zum einen an der stark autonomen Struktur der Wicca-Bewegung in Deutschland, zum anderen an der Existenz zahlreicher sog. “solitaries”, d. h. allein partizipierender Wiccas, die sich darüber hinaus aus vielen Gründen nicht immer nach außen bekennen. Dazu kommen zahlreiche “freifliegende”, d. h. nichttraditionsgebundene Hexen, die sich selbst nicht der Wicca-Bewegung zuordnen, auch wenn sie teilweise dieselben rituellen Praktiken vollziehen.
Für Deutschland wird manchmal die Zahl von 100.000 oder mehr praktizierenden Wiccas angeführt, andere Quellen sprechen jedoch von nur mehreren Zehntausend in Covens organisierten Wiccas weltweit, so dass man für Deutschland wohl von maximal wenigen Tausend Wiccas überhaupt ausgehen sollte. In Coven organisiert sind laut Jennifer Kunstreich 2011 davon lediglich 400 Wicca in Deutschland.
Schriften
Gardner, Gerald B.: Witchcraft Today (1954). New York 2004.
Starhawk: Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin. München 1994.
Crowley, Vivianne: Wicca. Die alte Religion im Neuen Zeitalter. Bad Ischl 1989.
Kontaktadressen
Literatur
Graichen, Gisela: Die neuen Hexen. Gespräche mit Hexen. Hamburg 1998.
Ruttmann, Hermann: Die Religion der Großen Göttin und ihres Gefährten, in: Connection, Heft 11/94, S. 59–63.
Rensing, Britta: Die Wicca-Religion. Theologie, Rituale, Ethik. Marburg 2007.
Fischer, Kathrin: Das Wiccatum. Volkskundliche Nachforschungen zu heidnischen Hexen im deutschsprachigen Raum. Würzburg 2007.
Neger, Birgit: Moderne Hexen und Wicca. Aufzeichnungen über eine magische Lebenswelt von heute. Wien 2009.
Jennifer Kunstreich: “Zwischen den Welten wandern…” — HexeSein im 21. Jahrhundert. Marburg 2011.
Autorin: Margrit Jütte, 2004. Bearbeitung: REMID, 2006 (überarbeitet 2010, 2012) © REMID 2012