REMID
Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V.
Kurzinformation Religion: Bahá’í
Gründung
Am 22. Mai 1844 stellte sich Sayyid Ali Muhammad als „Tor“ zum verborgenen Imam (= der Bab) vor. Dieses Ereignis ist für die Bahá’í der Beginn einer neuen Ära und monotheistischen Religion nach dem Islam. 1848 erklärte er, er sei der wiedergekommene verborgene 12. Imam, was für seine Anhänger die theologische Begründung dafür war, sich als vom schiitischen Glauben unabhängige Gemeinschaft zu verstehen. Mirza Husain Ali Nuri, genannt Bahá’u‘lláh (arab. die Herrlichkeit Gottes), ein früher Anhänger des Bab, verkündete am 8. April 1863 in Bagdad der vom Bab in seinen Schriften verheißene göttlich Gesandte zu sein, mit dem „der jüngste Tag“ in der bereits begonnenen Endzeit anbrechen werde.
Geschichte
1817 Geburt von Mirza Husain Ali Nuri
1819 Geburt von Sayyid Ali Muhammad
1844 Sayyid Ali Muhammad stellt sich in Shiraz als „Tor“ zum verborgenen Imam (= der Bab) vor
1848 Versammlung der Babis in Badasht und formelle Trennung vom Islam
1850 Hinrichtung des Bab in Tabriz
1863 Bahá’u’lláh erklärt sich im Rivdan-Garten in Bagdad als neuer göttlicher Gesandter und Offenbarer
1863–68 Exil in Edirne
1892 Tod Bahá’u’lláhs, sein Sohn Abdu’l Baha wird sein Nachfolger
1907 Erste Bahá’í‑Gemeinde in Deutschland
1911–13 Reisen Abdu’l Bahas in die USA und nach Europa
1921 Tod Abdu’l Bahas, sein Enkel Shoghi Effendi wird sein Nachfolger
1953 Gründung des Nationalen Geistigen Rates in Deutschland
1957 Überraschender Tod Shoghi Effendis, ohne dass ein Nachfolger bestimmt wird
1963 Etablierung des „Universalen Hauses der Gerechtigkeit“ als oberstes Leitungsgremium der Bahá’í‑Religion
1964 Einweihung des „Hauses der Andacht“ in Langenhain bei Frankfurt am Main
seit 1979 Unterschiedlich intensive Wellen der Verfolgung der Bahá’í‑Religion im Iran.
Lehre
Im Zentrum der Lehre Bahá’u’lláhs steht eine dreifache Einheit: die Einheit Gottes (tauhid), die Einheit der göttlichen Offenbarer und die Einheit der Menschheit. Für Bahá’u’lláh ist Gott der erste Urgrund und einzig Existierende, der nur durch seine Eigenschaften, wie z.B. seine Allmacht, sein Wissen und seinen Willen dem Menschen zugänglich wird.
Aus der Einheit Gottes resultiert zugleich die Einheit der Religionen. Gott ist in seiner Einheit und Einzigartigkeit unveränderbar, jedoch entwickelt sich der Mensch entsprechend der Evolution weiter, weswegen es nötig ist, dass von Zeit zu Zeit Offenbarer oder Manifestationen in der Welt auftreten, um den Menschen erneut die Religion und das Wissen von Gott zu verkünden.
Hierzu gehören Abraham, Mose, Buddha, Zarathustra, Krishna, Jesus, Muhammad, der Bab und Bahá’u’lláh.
Sie alle verkünden immer dieselbe Botschaft Gottes, die allerdings eine veränderte äußere Form hat, so dass sie der fortschreitenden Entwicklung der Menschheit angemessen ist. Die Bahá’í‑Religion ist selbst Teil dieser Evolution, was bedeutet, dass sich in ferner Zukunft (nicht vor Ablauf von tausend Jahren) eine neue göttliche Erfahrung ereignen muss und vertritt somit die Lehre einer fortschreitenden Offenbarung.
Die Einheit der Menschheit ist der dritte Aspekt der Lehre, welcher besagt, dass alle Menschen unabhängig von Rasse und Geschlecht gleichwertig anzusehen sind.
Der einzelne Mensch steht von allen Schöpfungswerken Gott am nächsten und nur er hat die Fähigkeit mit Hilfe des Verstandes Gott zu erkennen und mit ihm einen Bund zu schließen, der zum ewigen Leben führen kann.
Das Leben der Bahá’í wird als eine kontinuierliche Reise zu Gott verstanden. Mit dem Erscheinen von Gottes neuer Manifestation in der Welt hat die Eschatologie als Ende der Zeiten begonnen, was impliziert, dass der Mensch mit Gott eine gewisse Einheit bereits zu Lebzeiten erreichen kann.
Im individuellen Tod steigt die menschliche Seele zu Gott in das „Abha (arab. am herrlichsten) Königreich“ auf.
Situation in Deutschland
Im Jahr 2013 wurde der Bahá’í‑Religion vom Hessischen Kultusministerium die Rechtsform einer Körperschaft öffentlichen Rechts verliehen.
Praxis
Das besondere an der Praxis der Bahá’í ist, dass sie über keine ausgeprägte Ritualistik verfügt und es auch keinen Stand von religiösen Spezialisten gibt, was bedeutet, dass jeder Gläubige verpflichtet ist selbstständig nach der religiösen Wahrheit zu suchen und gemäß seinen Fähigkeiten das religiöse Leben der Gemeinschaft mitzugestalten.
Das Bahá’í‑Jahr und der Festkalender werden geprägt durch 19 Monate zu je 19 Tagen und vier zusätzlich eingeschobene Tage; der Kalender orientiert sich am Sonnenjahr. Zu Beginn jedes der 19 Bahá’í‑Monate findet das Neunzehntagefest statt, das aus drei Teilen besteht: „Andacht“ mit Gebeten und Lesungen, „Beratung“ über religiöse und administrative Aufgaben der Glaubensgemeinde und „Bewirtung“ zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls.
Die neun „heiligen Tage“ sind zentrale Feiertage, die die Ereignisse der Bahá’í‑Geschichte theologisch deuten:
- Das Neujahrsfest (Nowruz: 21. März),
- das Rivdan-Fest (21., 29. April und 2. Mai) in Erinnerung an die Offenbarung Bahá’u’lláhs,
- die Verkündigung des Bab am 23. Mai,
- die Todestage Bahá’u’lláhs (29. Mai) und des Bab (9. Juli), sowie
- die Geburtstage des Bab (20. Oktober) und
- Bahá’u’lláhs (12. November).
Das kultische Jahr wird durch den Fastenmonat (2. bis 20. März) abgeschlossen. Jeder Bahá’í hat das tägliche Pflichtgebet zu sprechen, das drei verschiedene Formen hat: Das „Mittlere Gebet“ ist das ideale Gebet und soll dreimal täglich mit der Gebetsrichtung (qibla) zum Grabmal Bahá’u’lláhs in Bahji bei Haifa gesprochen werden.
Alternativen sind das „kurze Gebet“, welches zur Mittagszeit gesprochen wird und das „lange Gebet“, das nicht an eine bestimmte Zeit gebunden ist.
Die „Häuser der Andacht“ sind Orte des Gebets und der Meditation und nehmen eine zentrale Stellung ein, denn sie stehen nicht nur den Angehörigen der Bahá’í‑Religion, sondern auch denen aller anderen Religionen als Orte der Gotteserfahrung und des Gotteslobes offen. Sie sind Symbol der Einheit der Religionen und sollen an jedem Ort, an dem Bahá’í leben errichtet werden. Derzeit gibt es sieben solche Häuser. Der Idee nach auf jedem Kontinent eines, das für Europa ist in Hofheim bei Frankfurt. Als Wallfahrtsorte gelten die Orte, die eng mit dem Leben des Bab bzw. Bahá’u’lláhs verbunden sind: Das Haus des Bab in Shiraz (wurde 1981 zerstört), das Haus Bahá’u’lláhs in Bagdad, sowie das Grabmal Bahá’u’lláhs. Das Leben der Bahá’í ist durch die Gesetze im Kitab-i-Aqdas (arab. das heiligste Buch) geregelt: hierzu gehören Fasten, Gebete, Reinheitsvorschriften und Gebote des menschlichen Zusammenlebens wie Ehe zwischen Mann und Frau und Erbrecht.
Organisation
Mit dem Tod Shoghi Effendis ist das Amt als „Hüter der Sache Gottes“ erloschen, an dessen Spitze der Aufgaben das des Lehramtes stand, welches den Hüter zum verbindlichen Interpreten der Schriften des Religionsstifters machte. Mit diesem Amt war die Unfehlbarkeit in Glaubensfragen verbunden.
Die administrative sowie rechtliche Leitung der Religion obliegt seither dem im Rahmen einer Wahl im April 1963 erstmals etablierten „Universalen Hauses der Gerechtigkeit“. Diese Leitungsinstitution der Religion hat ihren Sitz in Haifa/Israel und besteht aus neun im Fünfjahresrhythmus gewählten Männern. Neben legislativer und exekutiver Befugnis hat das Haus auch die Aufgabe, die Schriften des Bab sowie die von Bahá’u’lláh, Abdu’l Baha und Shoghi Effendi zu kommentieren. Allerdings besitzen weder die Mitglieder dieser Institution noch die Institution als Ganze die normative theologische Auslegungsbefugnis, die Abdu’l Baha und Shoghi Effendi hatten. Daher ist die Unfehlbarkeit des Universalen Hauses der Gerechtigkeit auf die juristische Ebene beschränkt.
Hierarchisch in klarer Abhängigkeit und Unterordnung gegenüber dem Universalen Haus der Gerechtigkeit gibt es auf lokaler Ebene die so genannten Nationalen Geistigen Räte bzw. Lokalen Geistigen Räte. Diese Einrichtungen setzten sich aus jeweils neun jährlich gewählten männlichen und weiblichen Mitgliedern zusammen.
Die Internationale Bahá’í‑Gemeinde ist seit 1948 als Nicht-Regierungsorganisation bei den Vereinten Nationen akkreditiert und hat beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) sowie beim Weltkinderhilfswerk (UNICEF).
Die Bahá’í beteiligen sich intensiv am interreligiösen Dialog.
In den USA rief die Gemeinde 1950 den Weltreligionstag ins Leben.
Verbreitung
Die Bahá’í hatten in den letzten drei Jahrzehnten signifikante Zunahmen bei der Zahl der Gläubigen zu verzeichnen. Für das Jahr 2004 nennt die Statistikabteilung des Bahá’í‑Weltzentrums die Existenz von 183 Nationalen Geistigen Räten.
Die Zahl der Lokalen Geistigen Räte betrug 2004 weltweit 9.631 und es lebten Bahá’í an 101.969 Orten, die insgesamt 2.112 unterschiedlichen ethnischen Gruppen zugeordnet werden konnten.
Die Statistiken zeigen, dass die Bahá’í‑Religion aufgrund ihrer Lehre der Einheit der Menschheit für alle ethnischen Gruppen ansprechend ist.
Im Jahr 2008 gab es laut eines Schreibens des Bahá’í‑Weltzentrums insgesamt 5.200.000 Gläubige, die sich wie folgt auf die einzelnen Kontinente verteilten:
Afrika | 1.000.000 |
Nord- und Südamerika | 1.000.000 |
Asien | 3.000.000 |
Ozeanien und Australien | 100.000 |
Europa | 100.000 |
In Deutschland leben derzeit etwa 6.000 Bahá’í.
Schriften
Bahá’u’lláh: Kitab-i-Aqdas. Das heiligste Buch. Bahá’í‑Verlag, Hofheim 2000.
Bahá’u’lláh: Ährenlese. Bahá’í‑Verlag, Hofheim 2003.
Gesellschaft für Bahá’í‑Studien für das deutschsprachige Europa (Hg.): Zeitschrift für Bahá’í‑Studien. Bahá’í‑Verlag, Hofheim 2007–2012.
Kontaktadressen
Bahá’í Gemeinde in Deutschland
Generalsekretariat
Eppsteinerstr. 89
65719 Hofheim-Langenhain
www.bahai.org
Literatur
Hutter, Manfred: Handbuch Bahá’í. Geschichte – Theologie – Gesellschaftsbezug. Kolhammer, Stuttgart 2009.
Smith, Peter: A Concise Encyclopedia of the Bahá’í Faith. Oneworld Publications, Oxford 2013.
Towfigh, Stephan; Wafa Enayati: Die Bahá’í‑Religion. Ein Überblick. Lau, Reinbeck 2014.
Bearbeitung: Kathrin Stiegler © REMID 2016